Gemeinsam den Standort sichern

Lange lief es rund für die Metall- und Elektro-Industrie (M+E). Doch die wirtschaftliche Lage hat sich deutlich verschlechtert. Was wir jetzt tun müssen – mehr dazu in dieser M+E-Zeitung.

Im ersten Halbjahr 2019 rutschten Produktion und Aufträge deutlich ins Minus – zwei Quartale nacheinander, weshalb die Experten von einer Rezession sprechen. Der neunjährige Beschäftigungsaufbau ist jedenfalls zu Ende, zumindest vorläufig. Und die Anzahl der Kurzarbeiter steigt. In der Wirtschaftskrise 2008/2009 sah das alles zwar noch viel dramatischer aus. Aber die Herausforderungen wachsen. Dazu zählen die Konflikte im Welthandel und der Brexit.

An solchen Entwicklungen können wir bei M+E nichts ändern. Anders sieht es zum Beispiel bei der Industrie 4.0 und dem E-Auto aus: Hier haben unsere Betriebe und Beschäftigten ihre Zukunft selbst in der Hand. Als Deutschlands größter Industriezweig haben wir das Zeug, die Herausforderungen gemeinsam zu meistern und den Wandel als Gewinner zu gestalten. 

Was wir jetzt anpacken müssen

Digitalisierung, Smartfactory, E-Mobilität: Die Betriebe und Beschäftigten der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) stehen vor großen Veränderungen. Aber wir haben beste Voraussetzungen, am Standort Deutschland gemeinsam erfolgreich zu bleiben.

 

„Unser Vorsprung ist dahin“

Foto: Jan Hosan

Interview mit Dr. Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und Geschäftsführender Gesellschafter der ProMinent GmbH.

Herr Dulger, beim Blick auf die ak­tuelle wirtschaftliche Entwicklung – Sie als Unternehmer, machen Sie sich Sorgen? 

Die Konjunktur kippt. Nach Jahren des Wachstums wäre es natürlich kein Drama, wenn es auch mal etwas runtergeht. Solche Schwankungen sind Alltag für jeden Unternehmer. Problematisch wird es, wenn der Rückgang der Beginn eines dauerhaften Abschwungs wäre. Diese Aussicht erfüllt mich dann doch mit Sorge, weil ich fürchte: Darauf ist unser Land nicht vorbereitet. Politik und Gesellschaft, und vielleicht auch manches Unternehmen, haben sich an dauerhaftes Wachstum gewöhnt. 

Was wünschen Sie sich in dieser Situation für Ihr eigenes Unternehmen? 

Wir haben am Standort Deutschland, in unserem Stammsitz in Heidelberg, rund 600 Mitarbeiter und weitere 2.100 auf der ganzen Welt. Sie alle arbeiten jeden Tag hart dafür, unsere Kunden von uns zu überzeugen. Dafür brauchen wir maximale Flexibilität, denn unsere Kunden entscheiden sich für uns, weil wir ihre Wünsche schnell und passgenau erfüllen können. Unsere Belegschaft versteht das genau – wir stoßen aber bei den gesetzlichen und tariflichen Rahmenbedingungen an die Grenzen. 

Worauf kommt es für die M+E-Industrie insgesamt an?

Wir haben hier in Deutschland hervorragende Mitarbeiter – gut ausgebildet, mit Spaß und Einsatz bei der Arbeit. Aber woanders auf der Welt wird auch gute Arbeit geleistet, und man arbeitet dort mit großem Ehrgeiz daran, uns einzuholen. Lügen wir uns nicht in die Tasche: Unser Vorsprung ist dahin. Auch wenn es anstrengend ist, wir müssen uns dem Wettbewerb stellen.

Strukturwandel: MUT HABEN!

Unsere M+E-Industrie durchlebt grundlegende Umbrüche. Vieles wird neu erfunden – von den Produkten bis zu den Aufgaben unserer Mitarbeiter. Wenn wir es richtig angehen, kann unsere Industrie zum Hauptgewinner des Wandels werden – denn wir entwickeln und liefern die Technologien der Zukunft. Für die Arbeitswelt von morgen gilt: Aus Industrie 4.0 folgt Arbeit 4.0. Ja, manche Tätigkeit wird wegfallen. Aber es wird neue und zusätzliche Arbeitsplätze geben. Digitalisierung bietet beispielsweise die Chance, Einzelfertigung in Großserie wirtschaftlich erfolgreich anzubieten. Deshalb: keine Angst vor dem Wandel einreden lassen.

Investitionen: SPIELRAUM SCHAFFEN!

Für unsere Unternehmen bedeuten die Umbrüche bei M+E auch, dass sie mehr investieren müssen denn je. Und das tun sie auch: Knapp 80 Prozent des Gewinns nach Steuern fließen inzwischen in neue Produktionsanlagen, Gebäude oder Patente. Aber den Betrieben unseres Industriezweigs bleibt immer weniger Geld für Investitionen: Ihre Gewinne sind 2018 auf im Schnitt 3,9 Prozent des Umsatzes geschrumpft. Umso dringender sind Entlastungen bei Steuern und Abgaben, Arbeitskosten und Energiekosten. Hier ist Deutschland jeweils am teuersten. Stattdessen brauchen wir mehr Spielraum für die Zukunftssicherung.

Weiterbildung: DRAN BLEIBEN!

Weiterbildung ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Strukturwandel. Für Schulungen ihrer Mitarbeiter inves­tieren die M+E-Betriebe pro Jahr 4,2 Milliarden Euro – das toppt keiner. Entscheidend dabei: Weiterbildung muss am konkreten betrieblichen Bedarf ausgerichtet sein. Daran, welche Fähigkeiten für neue und veränderte Aufgaben wirklich gebraucht werden. Andernfalls verpuffen Zeit und Geld für Bildung leicht. „Die Qualifizierung der Mitarbeiter ist eine Aufgabe von historischer Dimension“, sagt Continental-Personalvorstand Ariane Reinhart angesichts der Umbrüche in der M+E-Industrie. Sie betont nicht zuletzt die Eigenverantwortung der Beschäftigten: „Wir brauchen auch die Bereitschaft unserer Mitarbeiter zur Veränderung und ihre Bereitschaft, Zeit außerhalb der Arbeitszeit für ihre eigene Qualifizierung zu investieren.“

Arbeitsmarkt: BEWEGLICH SEIN!

Die schwache Konjunktur hat den M+E-­Arbeitsmarkt erfasst. Zur Jahresmitte stoppte der neunjährige Jobaufbau. Rund 4,05 Millionen Beschäftigte hat unsere Industrie jetzt. Und die M+E-Betriebe tun alles, um ihre Beschäftigten in schwierigeren Zeiten zu halten. Dafür brauchen sie flexibel einsetzbare Werkzeuge: Zunächst hilft beispielsweise der Abbau von Zeitguthaben, danach auch die Kurzarbeit. Zudem bewährt sich nun der im M+E-Tarifvertrag 2018 geschaffene Spielraum: Ein Teil oder die gesamte Belegschaft kann das tarifliche Zusatzgeld gegen freie Tage tauschen. Wichtig sind aber auch flexible Beschäftigungsformen wie Befristungen: Sie tragen dazu bei, dass Betriebe eine schwache wirtschaftliche Entwicklung besser durchstehen – und schneller durchstarten können, wenn es wieder aufwärts geht.

Wettbewerb: KOSTEN SENKEN!

Lange überdeckte der Aufschwung das Kernproblem unseres Standorts: Wir haben die weltweit höchsten Arbeitskosten. Mit 43,42 Euro je Stunde liegt die M+E-Industrie um satte 75 Prozent über dem Durchschnitt der Wettbewerbsländer. Diese sind uns auch in anderen entscheidenden Punkten oft klar voraus: Die Steuern, Abgaben und Energiekosten sind niedriger, die Arbeitszeiten höher. Und auch bei Produktivität und Qualität holt die Konkurrenz längst auf, gerade die in Mittelosteuropa. Kein Wunder, dass die M+E-Unternehmen immer mehr Geld in eigene Auslandsstandorte investieren: Mittlerweile haben sie dort fast zwei Millionen Mitarbeiter in rund 6.900 Betrieben. Das hilft, neue Märkte zu erschließen und durch preisgünstige Zulieferungen die Heimatstandorte zu sichern. Doch Werke im Ausland sind auch Wettbewerber, etwa um Aufträge und Investitionen. Um spitze zu bleiben, müssen wir die Kosten senken.

Klimaschutz: VORANGEHEN!

Ohne M+E kann der Wandel in der Mobilität und bei der Energieversorgung nicht gelingen: Denn unsere Unternehmen bieten klimafreundliche Antriebstechnologien und innovative Umweltschutztechnik an. Und selbst haben sie zuletzt 910 Millionen Euro in den Umweltschutz investiert. Ein Grund dafür sind die hohen Umweltstandards in Deutschland. In der Klimapolitik dürfen wir aber nicht übers Ziel hinausschießen: Steigen die Umweltauflagen und -kosten zu stark, könnten Betriebe gezwungen sein, ins Ausland abzuwandern, wo vielleicht weniger Wert auf Klimaschutz gelegt wird. Dann wäre nichts gewonnen. Stattdessen brauchen wir Bedingungen, die allen nutzen: der Umwelt, den Jobs und unserer Gesellschaft.

 

 

Quellen: 1) Ifo-Institut 2019; 2) Institut der deutschen Wirtschaft (IW) 2019; 3) Bitkom 2018, 4) Gesamtmetall 2019; 5) IW Consult 2019; 6) Statistisches Bundesamt/IW 2019 

Wie wir anpacken können

Die Herausforderungen für M+E-Unternehmen sind groß. Aber ihr Engagement auch. Wie sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern die Zukunft meistern: eine Auswahl.

 

„Daten und Algorithmen anwenden, das sind neue Kompetenzen für die Industrie 4.0.“

/ Andreas Grieger, Personalchef der Weidmüller Gruppe

Herausforderung Strukturwandel: Der Elektronikspezialist Weidmüller ist ein wichtiger Anbieter von Produkten für die Industrie 4.0 – und digitalisiert sich auch im Inneren. Für die Mitarbeiter heißt das: neue und höhere Anforderungen am Arbeitsplatz.
Lösung: Weidmüller führt neue Ausbildungsberufe mit Fokus auf Informatik und Data Science ein. Zusätzlich gibt es etwa AR-Brillen und eine digitale Lernplattform, die Mitarbeiter für Weiterbildungen nutzen.

 

„Der Schritt von Verbrennern zu Hybridantrieben und E-Fahrzeugen verändert alles.“

/ Grit Schieborowsky, Werkleiterin NORMA Germany

Herausforderung Klimaschutz: E- und Hybrid-Autos stellen andere Anforderungen an die Bauteile des Verbindungstechnik-Herstellers NORMA Group.

Lösung: NORMA hat neue Produkte entwickelt, Mitarbeiter weitergebildet, die Logistik automatisiert und Maschinen angeschafft. Das steigert die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit und stärkt den Beitrag der NORMA Group zur grünen Mobilität.

 

„Seit 2015 haben wir Personal aufgebaut und für neue Aufgaben qualifiziert.“

/ Markus Flik, Vorsitzender der Geschäftsführung bei CHIRON

Herausforderung Weiterbildung: Der Werkzeugmaschinenbauer eröffnet im Oktober die modernste Werkzeugmaschinen­fabrik Europas – „die CHIRON Precision Factory“. Die Arbeitsabläufe und der Materialfluss sind optimiert, modernste Industrie-4.0-Technologie kommt zum Einsatz. Deshalb müssen die Mitarbeiter rechtzeitig auf ihre veränderten Aufgaben vorbereitet werden.
Lösung: Chiron hat Jahre im Voraus begonnen, Mitarbeiter für die digitalisierte Umgebung zu qualifizieren. So kann die Produktion in der vernetzten Fabrik fließend weitergehen.

„Durch unser Wachstum war die Erweiterung des Standorts unumgänglich.“

/ Johann Soder, COO von SEW-Eurodrive

Herausforderung Investitionen: Am Standort Graben-Neudorf des Antriebstechnik-Herstellers war der Maschinenpark in die Jahre gekommen. Eine Modernisierung wurde dringend nötig, um Aufträge und weiteres Wachstum wirtschaftlich zu stemmen.
Lösung: SEW investiert einen dreistelligen Millionenbetrag in Modernisierung und Erweiterung. So kann das Unternehmen auf Trends wie Industrie 4.0 und veränderte Marktanforderungen reagieren und eine hohe Wertschöpfungstiefe im Werk halten.

„Nur Weiterbildung der eigenen Mannschaft erlaubt professionelles Qualitätsmanagement.“

/ Friedrich-Wilhelm Päplow, Werkleiter bei Brüggen

Herausforderung Wettbewerb: Sind viele Zulieferer an vielen Orten in eine Lieferkette eingebunden, kann die Abstimmung haken – und die Produktqualität leiden.
Lösung: Krone Trailer und das Tochterunternehmen Brüggen stellen am Standort Lübtheen mit eigenen Fachleuten alle Kernkomponenten ihrer Lkw-Anhänger selbst her.

Quiz

Reste raten

Und noch eine M+E-Herausforderung – beantworten Sie unsere Quizfrage: Wie viel Geld bleibt einem M+E-Unternehmen von 100 Euro Umsatz nach Steuern übrig, etwa für Investitionen?

Zu gewinnen: Eine Leica Sofortbildkamera, zwei Outdoor-Navigationsgeräte oder Kochmesser von Wüsthoff. Viel Glück!

Machen Sie über den Teilnahmelink unten mit. Oder senden Sie Ihre Antwort per Post an:

IW Medien GmbH, Stichwort: M+E-Quiz, Postfach 10 18 63 · 50458 Köln

Spielregeln: Teilnahmeberechtigt sind alle Leser der M+E-Zeitung. Eine Teilnahme über Gewinnspielklubs oder sonstige gewerbliche Dienstleister ist ausgeschlossen. Die Gewinner werden unter allen richtigen Einsendungen ausgelost. Einsendeschluss ist der 11. November 2019. Es gilt das Datum des Poststempels. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.