Noch einiges aufzuholen

Corona hat die Metall- und Elektro-Industrie (M+E), wie die gesamte Wirtschaft, in ein tiefes Tal gestürzt. Was das bedeutet und worauf es jetzt ankommt - mehr dazu in dieser M+E-Zeitung.

Die jüngsten Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung lassen zwar hoffen, dass es nicht noch weiter runter geht. Aber es ist ein weiter Weg zurück für die M+E-Industrie: Die Produktion liegt aktuell um rund 20 Prozent unter dem Stand vor Rezession und Corona.

Im Sommer waren immer noch neun von zehn M+E-Betrieben von Produktions-Einschränkungen durch die Krise betroffen, 46 Prozent sogar „stark“ oder „sehr stark“. Das zeigt die jüngste Unternehmens-Umfrage des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Alle Branchen sind stark angeschlagen – besonders der Automobilbau. Trotz der Einbrüche halten die Unternehmen an Beschäftigung fest, so lange es geht. Das belegen die Zahlen zur Kurzarbeit: 1,5 Millionen der insgesamt noch 4 Millionen M+E-Beschäftigten waren im Mai (aktuellster amtlicher Wert) in Kurzarbeit – mehr als je zuvor. Und das belegt auch der Vergleich zwischen Produktionseinbruch und Beschäftigungsentwicklung. Denn obwohl die Produktion um 20 Prozent unter dem Hochstand von 2018 liegt, haben die Unternehmen die Stellen nicht entsprechend angepasst: Die Zahl der Arbeitsplätze ist nur um 2,6 Prozent gesunken.

Die Betriebe der Metall- und Elektro-Industrie bauen auf eine wirtschaftliche Erholung. Die allermeisten rechnen damit aber frühestens 2021. Auch das ergab die Gesamtmetall-Umfrage. Mut macht das Wissen: M+E „kann“ Krise. Das hat Deutschlands wichtigster Industriezweig oft genug bewiesen. Dazu müssen aber alle einen Beitrag leisten. Denn: Wer zusammenhält und gemeinsam anpackt, der kann auch schlechte Zeiten überstehen.

„Zusammenrücken, gemeinsam anpacken“

Nachgefragt bei  Dr. Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und Geschäftsführender Gesellschafter der ProMinent GmbH.

Die Lage bei M+E ist immer noch bedenklich. Müssen die Mitarbeiter Angst um ihre Arbeitsplätze haben?

Die Lage ist nach wie vor ernst. Wir haben nicht nur die Corona-Rezession, sondern gleichzeitig noch den Strukturwandel zu bewältigen. Und kein Unternehmen kann auf Dauer überleben, wenn es keinen Gewinn macht. Wie die Lage im Unternehmen ist, wissen ja alle. Aber die Unternehmen wollen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern durch die Krise. Dass so viele M+E-Unternehmen auf Kurzarbeit setzen, beweist das eindrucksvoll. Von vier Millionen Beschäftigten in der M+E-Industrie waren im Mai 1,5 Millionen in Kurzarbeit. Die Firmen halten so lange wie möglich so viele Beschäftigte wie möglich an Bord.

Was muss denn geschehen, damit das gelingt?

In schlechten Zeiten rückt man zusammen und packt gemeinsam an. Aber zur Wahrheit gehört auch: Erst wenn das Virus eingedämmt und besiegt ist, kann es wieder normale Verhältnisse geben. In der Zwischenzeit bleibt uns in der Metall- und Elektro-Industrie nur, an noch besseren Produkten, noch überzeugenderem Service und an der Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten. Denn wenn die Kunden wieder bestellen können, wollen wir, dass sie es bei uns tun. Nur der wirtschaftliche Erfolg wird die Unternehmen und die Arbeitsplätze sichern.

Aber der Strukturwandel kostet Jobs?

Vor hundert Jahren gab es sehr viele Tätigkeiten, die es heute nicht mehr gibt, und die Unternehmen sind heute voll mit Menschen, deren Arbeitsplätze es damals noch nicht gab. Als die Kühlschränke erfunden wurden, verschwanden die Verkäufer von Eisblöcken, mit denen man bis dahin gekühlt hatte. Dafür weiß heute jede Fachinformatiker-Auszubildende mehr über Elektronik als damals Universitätsprofessoren. Strukturwandel verändert die Arbeit. Wir wollen, dass die neuen Arbeitsplätze hier bei uns entstehen, damit auch die nächste und die übernächste Generation unsere Industrie hier gestaltet. Lasst uns darüber diskutieren, was wir dafür brauchen!

Richtig schalten - für Standort und Arbeitsplätze

Kurzarbeit: Brücke über das Krisental

Die Kurzarbeit ist bei M+E zuletzt weiter angestiegen – wenn auch nur leicht. Grund ist insbesondere die schlappe Nachfrage aus dem In- und Ausland. Das ergab eine aktuelle Umfrage des ifo Instituts. Demnach dürfte im Juli mehr als jeder dritte M+E-Beschäftigte in Kurzarbeit gewesen sein – deutlich mehr als in der Krise 2008/2009. Die Angaben passen zur jüngsten Unternehmens-Umfrage von Gesamtmetall, wonach es bei M+E im Juni 1,5 bis 1,6 Mio. Kurzarbeiter gab. In die Höhe geschossen ist die Kurzarbeit bereits im Frühjahr. Sie hat wesentlich geholfen, Arbeitsplätze zu sichern.

Seit April nutzt etwa die Heinrich Huhn GmbH + Co. KG in Drolshagen Kurzarbeit. Da war der Umsatz auf 15 Prozent eingebrochen. Anfang August ist der Automobilzulieferer immerhin wieder bei 60 Prozent angekommen. Und wie geht es weiter? Geschäftsführer Tanuj Huhn ist verhalten optimistisch, betont aber auch: „Prognosen sind schwierig. Immer wieder werden Aufträge storniert oder im Stundentakt abgeändert.“

Flexible Arbeitszeiten: Dauerhaft ein Top-Thema

Spielraum bei den Arbeitszeiten ist für M+E-Betriebe entscheidend wichtig – auch jetzt, um durch die Krise zu kommen. Das belegt eine aktuelle Trendanalyse zur Arbeitswelt des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). Dafür befragt wurden Fach- und Führungskräfte aus M+E-Betrieben. Sie bestätigen zudem: Auch nach der Pandemie wird Arbeitszeit-Flexibilität Top-Thema bleiben.

Auch die Hubert Stüken GmbH & Co. KG aus Rinteln war von der Corona-Krise anfangs hart getroffen worden. Der Hersteller hochpräziser Tiefziehteile reagierte zunächst vor allem mit dem Abbau von Arbeitszeitkonten oder von Resturlaub. Außerdem half eine tarifliche Regelung – im Einvernehmen mit dem Betriebsrat wurde das tarifliche Zusatzgeld in freie Tage umgewandelt. Auf dem Tiefpunkt der Krise gab es an zwei Tagen die Woche Kurzarbeit. Die Nachfrage steigt inzwischen wieder deutlich an. Letztlich fährt das Unternehmen weiter auf Sicht.

Produktion: Beweglich sein im Auf und Ab

Eine bewegliche Arbeitsorganisation und flexible Fertigungssysteme – das sind offene Erfolgsgeheimnisse der allermeisten M+E-Betriebe. Die Corona-Pandemie machte das ganz besonders deutlich. Neun von zehn M+E-Betrieben mussten zuletzt mit – oft großen – Einschränkungen in der Produktion klarkommen. Das zeigt die jüngste Unternehmens-Umfrage von Gesamtmetall. Aber es gibt auch positive Gegenbeispiele.

Wegen hoher Nachfrage steigerte Philips Medical Systems in Hamburg seine Röntgenröhren-Produktion in der Corona-Krise um 30 Prozent – und das angesichts verschärfter Abstands-, Hygiene- und Sicherheitsregeln: Schichten müssen überdacht und entzerrt, Mitarbeiter informiert, neue Kollegen eingearbeitet, der Materialfluss gesichert werden. Seit Krisen-Beginn fertigt Philips nicht nur im Dreischicht-Betrieb, es werden auch Sonderschichten an Feiertagen und Wochenenden gefahren. „Die meisten Mitarbeiter leisten Mehrarbeit“, berichtet Stefanie Grimmert, Gruppenleiterin der Röhrenfertigung. „Alle ziehen voll mit.“

Zusammenarbeit: Hin zur „neuen Normalität“

„Deutschland erlebt derzeit ein großflächiges Experiment der Digitalisierung von Arbeit und Kooperation. Besonders bemerkenswert sind das schnelle Vorgehen in den Unternehmen und der Mut, Neues – auch notgedrungen – zügig umzusetzen.“ Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft. Als Beispiele genannt werden die Arbeit im Homeoffice, Onlinebesprechungen und Kundenveranstaltungen via Internet.

Mobiles Arbeiten prägt bei Siemens einen Großteil des Alltags – es erleichtert den Infektionsschutz. „Das bringt auch neue Herausforderungen“, sagt Stefan Moschko. Der Personalleiter Siemens Deutschland nennt Beispiele: Vorgesetzte müssen eine neue Führungskultur entwickeln, über virtuelle Tools den Kontakt zu ihren Mitarbeitern halten. Die Beschäftigten müssen ihre Zeit beim mobilen Arbeiten einteilen und mit ihrem Privatleben abstimmen. Und es gibt viele neue Fragen – von Arbeitssicherheit bis Zeiterfassung. „Wir planen bereits für die Zeit danach“, so Moschko. Mobiles Arbeiten soll ausgeweitet werden, auf zwei bis drei Tage pro Woche. Letztlich hat die Pandemie Siemens als Organisation zusammengeschweißt, urteilt Moschko: „Wir gehen gestärkt aus dieser Krise hervor.“

Lieferketten: Zulieferer bringen mehr Wettbewerbskraft

Der Corona-Lockdown in vielen Ländern hat die M+E-Lieferketten durcheinandergewirbelt. Dabei brauchen die allermeisten Betriebe Bauteile und Komponenten von Zulieferern im In- und Ausland: Sie helfen ihnen, ihre Wettbewerbskraft zu sichern.

Auf das Ausland entfiel zuletzt fast ein Viertel der Wertschöpfung durch deutsche Waren und Dienstleistungen. Über diesem Durchschnitt liegen etwa die Elektronikindustrie, die Automobilindustrie und der Maschinenbau. Eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: In einer für 100.000 Euro verkauften Maschine „made in Germany“ stecken durchschnittlich gut 28.200 Euro an ausländischer Wertschöpfung. Davon entfallen unter anderem 12.800 Euro auf andere EU-Länder, 3.200 Euro auf China und 2.300 Euro auf die USA.

Der Kompressorenhersteller Boge hat Zulieferer in China und Italien. Durch den Lockdown dort gab es Verzögerungen. „Doch schon vor Monaten haben wir zwei neue Betriebe in Europa gefunden und zertifiziert, um Reservemöglichkeiten zu haben“ , berichtet der geschäftsführende Gesellschafter Wolf Meier-Scheuven. „Das bedeutet allerdings auch höhere Kosten für manche Bauteile.“

Investitionen: Jetzt nicht zu kurz treten

Schwindende Erträge, steigende Investitionen: M+E befindet sich im Spagat. Bereits 2019 war der Industriezweig in eine Rezession gerutscht. Dennoch wurde mehr investiert. Große Treiber sind die Digitalisierung, die Energiewende und der Umbau in der Automobilindustrie. Der Rekordbetrag von über 42 Milliarden Euro floss 2019 in Bauten, Ausrüstungen, Patente und Lizenzen. Auch wenn die Corona-Krise 2020 die Erträge weiter drückt – Zukunftsinvestitionen dürfen jetzt nicht auf der Strecke bleiben.

Die Daimler Truck AG geht derzeit wichtige Schritte beim wasserstoffbasierten Brennstoffzellenantrieb: Für die Vorserienproduktion von Brennstoffzellen entwickeln Experten am Standort Stuttgart hochmoderne Produktionsanlagen und Prozesse. Bereits im April hatten die Lkw-Hersteller Daimler Truck AG und Volvo Group die geplante Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens angekündigt. Ziel ist die serienreife Entwicklung, Produktion und Vermarktung von Brennstoffzellensystemen für den Einsatz in schweren Nutzfahrzeugen und anderen Anwendungsfeldern wie beispielsweise Notstromaggregaten.

Ausbildung: Chancen für Berufsstarter

Jugendlichen bietet die M+E-Industrie erstklassige Berufschancen. Auf bestehende Ausbildungsverhältnisse hat sich die Corona-Krise in 92 Prozent der Betriebe nicht ausgewirkt. Und zwei Drittel der M+E-Betriebe bieten für das Ausbildungsjahr 2021/22 genauso viele Ausbildungsplätze an wie in den Jahren zuvor. Das zeigt die jüngste Unternehmens-Umfrage von Gesamtmetall.

Hautnah die Ausbildung und Berufswelt von M+E kennenlernen – seit Schulbeginn geht das wieder an Bord der zweigeschossigen M+E-InfoTrucks. Die spektakulären Doppelstöcker steuern im Auftrag der M+E-Arbeitgeber bundesweit Schulen und Betriebe an. Im Truck können junge Leute etwa Experimentier-Stationen nutzen, Eignungstests machen und in einer Datenbank nach Ausbildungsplätzen suchen. Zudem werden über ein Videokonferenzsystem Ausbilder und Azubis von Betrieben aus der Region zugeschaltet – zum Erfahrungsbericht aus erster Hand. Übrigens wurde für den Truck-Besuch ein eigenes Hygienekonzept entwickelt.

Krisen-Fakten auf einen Blick

Wo hat die Corona-Krise die Unternehmen und Beschäftigten der Metall- und Elektro-Industrie besonders getroffen? Und wann geht es womöglich wieder aufwärts? Wichtige Fakten in der Übersicht.

Quiz

Antwort gesucht

Und noch eine M+E-Herausforderung – beantworten Sie unsere Quizfrage: Wie viele M+E-Beschäftigte waren im Mai 2020 von Kurzarbeit betroffen?

Gewinnen Sie als Hauptpreis ein Rolly-Feuerwehrauto oder einen von vier Hochtemperatur-Grills.

Machen Sie über den Teilnahmelink oben mit. Oder senden Sie Ihre Antwort per Post an:

IW Medien GmbH, Stichwort: M+E-Quiz, Postfach 10 18 63 · 50458 Köln

Spielregeln: Teilnahmeberechtigt sind alle Leser der M+E-Zeitung. Eine Teilnahme über Gewinnspielklubs oder sonstige gewerbliche Dienstleister ist ausgeschlossen. Die Gewinner werden unter allen richtigen Einsendungen ausgelost. Einsendeschluss ist der 12. Oktober 2020. Es gilt das Datum des Poststempels. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.